1814-15
Der Wiener Kongress
Der Wiener
Kongress, der vom 18. September 1814 bis zum 9. Juni 1815 stattfand,
ordnete nach der Niederlage Napoleon Bonapartes in den Koalitionskriegen
Europa neu. Nachdem sich die politische Landkarte des Kontinentes im
Gefolge der Französischen Revolution erheblich verändert hatte, legte
der Kongress wiederum zahlreiche Grenzen neu fest und schuf neue
Staaten.
Unter der Leitung des österreichischen Außenministers Fürst
von Metternich berieten politisch bevollmächtigte Vertreter aus rund 200
europäischen Staaten, Herrschaften, Körperschaften und Städten,
darunter alle bedeutenden Mächte Europas mit Ausnahme des Osmanischen
Reiches. Die führende Rolle spielten Russland, das Vereinigte
Königreich, Österreich und Preußen sowie das wiederhergestellte
Königreich Frankreich und der Vatikan. Die deutschen Fragen wurden
angesichts ihrer Komplexität und ihres Umfangs getrennt von den übrigen
europäischen Angelegenheiten beraten.
Die siegreichen Könige und ihre
führenden Minister trafen sich zunächst in London. Im Herbst 1814
begann in Wien der Kongress, zu dem sich Delegationen fast aller Staaten
und Mächte Europas einfanden. Von Oktober 1814 bis Juni 1815 wurde Wien
und vor allem der Tagungsort, das Außenministerium (später auch die
Staatskanzlei) im Palais am Ballhausplatz, der Amtssitz von Metternich,
zum politischen Zentrum des Kontinents. Gastgeber war Kaiser Franz I.
von Österreich.
Die Gastgeber bemühten sich, den Aufenthalt der Kongressteilnehmer möglichst angenehm zu gestalten. Die Abfolge geselliger Ereignisse, Bälle und sonstiger Vergnügungen veranlassten Feldmarschall Blücher zu folgender Charakterisierung der Verhandlungen: „Der Kongress gleicht einem Jahrmarkt in einer kleinen Stadt, wo jeder sein Vieh hintreibt, es zu verkaufen und zu vertauschen.“
Der Wiener Kongress erarbeitete, dies war eine verhandlungstechnische Neuheit, seine Ergebnisse in Kommissionen. Es gab unter anderem einen Ausschuss für die Deutschen, einen für die europäischen Angelegenheiten, einen für Gebietsfragen, einen für die Flussschifffahrt und einen für den Sklavenhandel. Zu einer formellen Vollversammlung kam es nie. Die Kongressakte (Acte final) trägt nur die Unterschriften der acht Hauptmächte Österreich, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Portugal, Preußen, Russland und Schweden (in dieser auf Französisch alphabetischen Reihenfolge). Die Deutsche Bundesakte, deren Allgemeine Bestimmungen (Artikel 1 bis 11) in die Kongressakte aufgenommen sind, wurde separat von den Bevollmächtigten der deutschen Staaten unterzeichnet.
Der wichtigste Gegenspieler Metternichs war Zar Alexander I. Daneben spielten auch der britische Gesandte Castlereagh und der Vertreter des besiegten Frankreich, Talleyrand, der sowohl unter dem alten wie dem neuen französischen Regime erheblichen Einfluss hatte, die wichtigsten Rollen. Auch wenn Preußen durch Karl August von Hardenberg und Wilhelm von Humboldt prominent vertreten war, spielte die Delegation dieses Landes keine besonders starke Rolle. Ein Grund dafür war, dass deren Linie durch das persönliche Eingreifen von König Friedrich Wilhelm III. beeinträchtigt wurde.
Richtet man den Blick vom Ballsaal weg auf
die eigentlichen Verhandlungen, bleibt vom äußeren Bild der Harmonie
nicht mehr viel übrig. Tatsächlich verschärften sich die
Interessengegensätze im Verlauf des Kongresses noch deutlich.
In
diesen Zusammenhang gehört auch der Grundsatz der Restauration der
vorrevolutionären politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Die
Restauration sollte zwar nicht so weit gehen, dass alle seit 1789
eingetretenen Veränderungen wieder rückgängig gemacht werden sollten,
sehr wohl sollte aber allen zukünftigen revolutionären Bestrebungen ein
Riegel vorgeschoben werden. Dazu zählten nicht nur die freiheitlichen,
sondern auch die nationalen Bewegungen der Zeit.
Zur Sicherung und
Durchsetzung dieses Ziels setzten die Delegationen einerseits auf eine
starke monarchische Autorität nach innen und andererseits auf die
zwischenstaatliche Solidarität der Länder nach außen. Einig war man sich
in der Schaffung eines europäischen Gleichgewichtssystems zur
Verhinderung zukünftiger Kriege.
In Bezug auf die Entwicklung in
Deutschland gab es folgende Bestrebungen, politische Einigung auf dem
Kongress zu erlangen. Zum Schutz seiner Großmachtstellung bekämpfte die
französische Delegation auch die Einigungsbestrebungen in Deutschland.
Preußen dagegen wollte eine Stärkung der eigenen Position durch den
Erwerb ganz Sachsens und eine preußisch-österreichische Hegemonie in
Deutschland erreichen. Dem entgegen standen allerdings die Interessen
der kleineren deutschen Staaten und Österreichs.
Preußen erhielt entgegen den ursprünglichen Plänen und Erwartungen nicht ganz Sachsen, sondern nur den nördlichen Teil, der zum Teil der neuen Provinz Sachsen zugeschlagen wurde. Dafür erzielte es im Westen erhebliche Gebietszuwächse und konnte die Rheinprovinz sowie die Provinz Westfalen errichten (welche zum Teil schon seit dem 17ten Jhd. preußisch war). Im Osten kamen Posen und die Stadt Danzig hinzu, dafür musste Preußen endgültig auf die schon 1807 verlorenen Erwerbungen aus der dritten und zum Teil auch aus der zweiten Polnischen Teilung verzichten. An Bayern gab es Ansbach und Bayreuth, an das Königreich Hannover Ostfriesland, Hildesheim, Goslar und den größeren Teil des Untereichsfelds ab und erhielt dafür Schwedisch-Pommern mit Rügen von Dänemark im Tausch gegen das Herzogtum Lauenburg. Mit dem Erwerb der rheinischen Gebiete wurde Preußen zum Schutzwall gegen Frankreich, das noch immer die Rheingrenze anstrebte, was auch für die linksrheinische Pfalz und Rheinhessen von größter sicherheitspolitischer Bedeutung war. Durch die Teilung seines Staatsgebietes war Preußen gezwungen, in Deutschland hineinzuwachsen, und wurde so zum Motor der wirtschaftlichen und politischen Einigung.
Bayern,
dem mit dem Vertrag von Ried gerade noch rechtzeitig der Absprung vom
Bündnis mit Napoleon gelungen war, gewann zwar im Tausch gegen Tirol den
größten Teil Frankens sowie die nach schwierigen Verhandlungen
neugeschaffene linksrheinische Pfalz mit Teilen der alten Pfalz hinzu,
konnte seine territorialen Ambitionen aber nicht ganz verwirklichen. Das
Königreich Württemberg, die Großherzogtümer Baden und Hessen sowie das
Herzogtum Nassau konnten ihren Territorialbestand aus der Rheinbundzeit
behaupten, es fanden bis 1825 nur kleine Grenzkorrekturen statt.
Als
souveräne Staaten wiedererrichtet wurden das in Personalunion mit dem
Vereinigten Königreich verbundene ehemalige Kurfürstentum
Braunschweig-Lüneburg (nun zum Königreich Hannover erhoben),
Braunschweig, Oldenburg, Hessen-Kassel, Hessen-Homburg und die freien
Städte Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg. Auf der Verliererseite des
Kongresses stand das Königreich Sachsen. Gleichsam als Strafe für sein
zu spätes Abrücken vom Bündnis mit Frankreich – in der Völkerschlacht
bei Leipzig hatte es noch auf der Seite Napoleons gekämpft – verlor das
Königreich fast zwei Drittel seines Territoriums und 40 % seiner
Einwohner in den nördlichen und östlichen Gebieten sowie in Thüringen an
Preußen, das aber einen Teil dieser thüringischen Gebiete dann an das
Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach abtrat.